Stoneman Glaciara
Stoneman Glaciara im Wallis: Reisebericht, Informationen, Bilder

Große Gletscher, große Gipfel, große Gefühle

Stoneman Glaciara im Wallis: Reisebericht, Informationen, Bilder

Wer den „Stoneman Glaciara“ im Wallis mit dem E-MTB befährt und sich dabei drei Tage Zeit lässt, erringt zwar keinen Heldenstatus, wird aber mit grandioser Natur, Weltklasse-Ausblicken und feinen Trails überreich beschenkt – ein Fünf-Sterne-Bike-Erlebnis der Extraklasse!
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Wer kennt den Slogan nicht, mit dem der Schweizer Kanton Graubünden um Biker wirbt – „Kämpfa, kämpfa, khum“. Die Botschaft: Die Oberschenkel dürfen ruhig mal brennen, hinterher ist’s dann doppelt schön. Aber manchmal wäre es einfach eine Sünde, mit starrem Blick auf den Vorderreifen auf der Jagd nach Bestzeiten durch die Gegend zu hetzen – und dabei die atemberaubende Natur und Kulturlandschaft gar nicht richtig genießen zu können. Auf der Schwäbischen Alb wäre das zu verzeihen. Aber im Wallis, umzingelt von eisgepanzerten Viertausendern und grandiosen Gletschern, ist das fast schon ein Frevel. Und so soll unsere Befahrung des „Stoneman Glaciara“ im Zeichen dieser sechs Buchstaben stehen: GENUSS.

Konkret heißt das: E-Motor statt eigene PS und ganze drei Tage Zeit für die Runde mit 127 Kilometern und 4700 Höhenmetern. Keine Gedanken an leere Akkus, kein banger Blick auf den Zeitmesser – einfach nur: entspannt kurbeln, lächeln, schauen, staunen und genießen.

Stoneman Glaciara

Im Binntal mit seinen alten, stolzen Walserhäusern scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Roland Stauders dritter „Streich“

Der „Glaciara“ ist die dritte Sensationsroute mit dem Steinmännchen-Logo des Südtiroler Ex-Rennfahrers Roland Stauder. Sein Ur-Stoneman Dolomiti (Südtirol) fand eine Fortsetzung in Deutschland (Erzgebirge), in der Schweiz (Wallis) und seit 2018 auch in Österreich (Salzburger Land). Weitere sollen folgen. Stauder hat die Lizenzrechte inzwischen an die Agentur „absolutGPS“ in Sachsen verkauft, die die Vermarktung regelt, weil das für ihn allein zu viel geworden wäre. Er selbst ist als Ratgeber, Guide und Botschafter aber nach wie vor an Bord. Seine große Erfahrung im MTB-Tourismus bürgt für Qualität.

Entsprechend groß sind die Erwartungen, als wir in Fiesch loskurbeln. Mit dabei ist Kurt Schweizer. Ihn als „Bike-Guide“ vorzustellen, wäre eine starke Untertreibung. Kurt führt nicht nur den Bike-Shop in Fiesch und ging nicht nur bei unzähligen Amateur-Rennen an den Start. Er ist auch so etwas wie die gute Seele des „Glaciara“, zudem ein MTB-Pionier der ersten Stunde. Mit Kurt kurbeln wir durch schönen Lärchenwald hinauf zur Fiescheralp, wo sich im Winter das Skikarussell dreht. Mit jedem Höhenmeter wird das Panorama imposanter. Hinter uns schrauben sich die Walliser Viertausender in den Himmel: Dom, Weißhorn und ganz hinten auch das Matterhorn, das alle Blicke magisch auf sich zieht wie ein Supermodel, erspähen wir am Horizont. Wir rollen durch einen düsteren Tunnel, den Kurt für ein MTB-Rennen schon einmal mit Fackeln ausleuchten ließ, und legen eine Kaffeepause in der urigen „Gletscherstube“ ein. Noch sind sie nicht zu sehen, die Riesengletscher…

Den Bündnern Konkurrenz machen

In der warmen „Stube“ erzählt uns Kurt, dass sie zum „Stoneman“ ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde gekommen seien. Ein MTB-Leuchtturmprojekt, mit dem sie aus dem Schatten anderer Destinationen wie dem weltberühmten Zermatt heraustreten und den etwas schwächelnden Sommer-Tourismus ankurbeln könnten, hatten sie sich immer schon gewünscht. Doch bei einem Bike-Kongress in Chur hieß es: Sorry, der Stoneman für die Schweiz – jedes Land soll, so wollte es Stauder, nur einen einzigen „Steinmann“ bekommen – ist bereits an Lenzerheide vergeben. Doch dann bekam das Skidorf in Graubünden den Zuschlag für die UCI-MTB-Weltmeisterschaft 2018 und wäre mit noch einem Großprojekt finanziell und personell überfordert gewesen.

Es war deshalb ein kluger Schachzug von Kurt, einem der Verantwortlichen in Chur damals einen Zettel mit seiner Telefonnummer zuzustecken. Für alle Fälle, sozusagen. Trotzdem war Kurt sehr überrascht, als der Anruf kam. Ob sie im Wallis noch Interesse hätten … „Hatten wir natürlich“, erzählt Kurt. „Wir beriefen sofort eine Sitzung ein und begannen mit der Planung. Alle vier Tourismusverbände unserer Region zogen mit. Das Vater-und-Sohn-Team René und Robert Diezig fing an, Routen zu scouten. Und ich war natürlich auch Feuer und Flamme. Wir hatten doch tatsächlich so berühmte Reviere wie Davos, St. Moritz oder Verbier ausgestochen.“

Vermutlich auch deshalb gelang die Umsetzung in Rekordzeit. Im Dezember 2016 kam die Zusage, im Frühjahr 2017 reiste Stauder zur Streckenbesichtigung an, am 29. Juli 2017 war Eröffnung. Alle zwölf Oberwalliser Gemeinden, die Hotel-Partner und der Kanton zogen an einem Strang, meistens jedenfalls. Nur ganz selten bissen die Macher auf Granit, wenn ein Singletrail über Privatgrund führen sollte.

Den Fieschergletscher im Blick

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Gleich nach der Gletscherstube beginnt ein fantastischer Singletrail, auf dem man den Fieschergletscher stets im Blick hat. Um das aufgetürmte Eis gebührend zu bewundern, sollte man jedoch besser absteigen, denn der Steig führt haarscharf am Abgrund entlang – kein Ort für Fahrfehler. Der E-Motor ist an den kurzen, aber steilen Felsrampen eine große Hilfe. Dann geht es über ausgesetzte Kehren bergab und quer hinüber zur Fiescheralp, wo schon Pasta und Bündner Fleisch warten. Der absolute Höhepunkt des Tages kommt jedoch erst noch: Via Bettmeralp steigt die Route noch einmal an zur Moosfluh, mehr als 2300 Meter hoch.

Und hier gibt’s eines der besten Panoramen der Schweiz: Tief unter uns fließt mit dem Aletschgletscher der mit 23 Kilometern längste und mit 900 Metern mächtigste Eisstrom der Alpen. Ein gewaltiges Meer aus 27 Milliarden Tonnen Eis, türkisblau leuchtenden Gletscherspalten und über die Jahrhunderte geschliffenem Fels. Das Auge schweift über verschiedene Vegetationsstufen – vom Aletsch­wald hinauf zu den Viertausendern wie Aletschhorn und Finsteraarhorn. Eine Kulisse der Superlative, auf deren Rand, der Seiten-Moräne, man mit dem E-Bike wunderbar spielen kann, sofern man auf die vielen Zu-Fuß-Touristen Rücksicht nimmt. GENUSS pur. Allerdings sollte man sich sputen: In 50 Jahren wird das Eis komplett verschwunden sein, schätzen Experten.

Stoneman Glaciara

Vor der urigen „Gletscherstube“ wartet noch ein düsterer Tunnel

Im Reich von Art Furrer

Auf der Riederalp machen wir noch einmal Pause – zu schön ist es auf dieser Sonnenterrasse. Außerdem ist der autofreie Ferienort das Reich von Art Furrer. Der legendäre Bergführer und Ski-Akrobat wanderte 1959 in die USA aus und wurde Privatskilehrer von Leonard Bernstein und des Kennedy-Clans. Als Hotelier machte er sich ebenfalls einen Namen. Auf der Riederalp gehören heute mehr als ein Dutzend Hotels und Restaurants zu seinem Imperium. Als wir in einem seiner Lokale Getränke ordern, sind wir auf der Hut. Furrer hat zigmal in „Verstehen Sie Spaß?“ mitgespielt – nicht, dass uns jemand den Akku leersaugt und wir beim Fluchen gefilmt werden …

Den Tag beendet ein Trail-Feuerwerk hinab in den Talboden der jungen Rhone. Beim Dinner sind wir uns einig: Wir haben gerade einen der besten Bike-Tage aller Zeiten erlebt. Mehr Abwechslung und GENUSS geht nicht!

Stoneman Glaciara

Eine Etage tiefer geht’s über typische Walliser Almweiden.

1500 Hm und 14 Kehren am Stück

Was soll da anderntags noch kommen? Zuerst einmal: Ein ellenlanger Anstieg, 1500 Höhenmeter, 14 Kehren, hinauf zum Joch am Breithorn, mit 2451 Metern der höchste Punkt des Glaciara. Wir danken dem MTB-Gott, dass er das E-Bike erfunden hat. Kurt erzählt von gut trainierten Bikern, die hier schieben mussten, weil die Kräfte einfach nicht mehr reichten. Nur die Härtesten schaffen den Giro an einem einzigen Tag und werden als Gold-Finisher auf der Website des Glaciara verewigt. Für Kurt viel wichtiger sind jedoch die absoluten Zahlen. Und die können sich sehen lassen: Gleich im ersten Jahr 2017, das ja erst mit der Eröffnung Ende Juli begann, gab es 144 Anmeldungen.

Das Ziel für 2018 lautete, diese Zahl zu verdoppeln. Doch bis Ende September hatten sage und schreibe 900 Biker den Stoneman Glaciara unter die Stollen genommen. „Ein riesiger Erfolg“, schwärmt Kurt. 80 Prozent der Starter kämen aus Deutschland. Natürlich: Der Frauenanteil, derzeit unter 20 Prozent, könnte noch etwas höher sein. Nur vier Damen konnten sich bis Ende 2018 in die Gold-Liste eintragen. „Und auch von den Männern hat bisher keiner gesagt, dass es ein Kinderspiel war“, ergänzt Kurt. „Schließlich sind auch die Abfahrten knackig, erfordern volle Konzentration.“

Stoneman Glaciara

Am höchsten Punkt danken wir dem MTB-Gott, dass er gerade noch rechtzeitig das E-Bike erfunden hat.

Stoneman Glaciara

Der Blick über den riesigen Aletschgletscher begeistert alle Mountainbiker. Nur an wenigen Orten kommt man dem Eis mit dem Rad so nahe.

Murmeltiere und Steinadler

Unser Downhill führt jetzt hinab ins idyllische Salfischtal, vorbei an Murmeltieren und am blauen Himmel kreisenden Steinadlern. Es riecht nach Lärchennadeln und warmem Waldboden. Der fast leere Akku stört uns nicht, die Höhenmeter des Tages sind weitgehend geschafft. Eine weitere Stempelstelle wartet im Binntal, das als Schatzkammer für Bergkristalle und 200 weitere Mineralien-Arten bekannt ist. „Hier gefiel es Roland Stauder besonders gut“, erinnert sich Kurt.

Kein Wunder: Das Tal ist ein echter Geheimtipp, wurde erst in den 1960er Jahren mit Straße und Tunnel erschlossen. Davor gab es nur einen schmalen Weg durch die Zwingli-Schlucht, der im Sommer von Muren und im Winter von Lawinen bedroht war. Heute cruist man dort mit dem Bike gefahrlos entlang und erfreut sich an der „Kunst am Berg“, etwa an einem „Gugelhupf-Weg“ aus ausrangierten Kuchenformen. GENUSS eben.

Als Belohnung für die Anstrengung folgt nach dem höchsten Punkt der Tour...

Stoneman Glaciara

...ein ellenlanger Downhill ins Salfischtal.

Passt der Stoneman Glaciara ins Jahres-Training?

Über einfache Trails rollen wir zu unserem Quartier, dem Bed & Breakfast von Snowboard-Olympiasiegerin Patrizia Kummer in Mühlebach. Auch ihre Familie sagte spontan Unterstützung zu, als sie vom Glaciara hörte. Sie ist jetzt offizieller Logis-Partner. Patrizia würde den Stoneman gern einmal selbst fahren, muss aber aufpassen, dass das in ihr Jahres-Training passt. Sie und ihre Eltern freuen sich, dass etwas voran geht im Oberwallis. Ihr Heimatdorf Mühlebach ist zwar in der ganzen Schweiz berühmt für seine uralten und rustikalen Holzhäuser, die teilweise noch aus dem 14. Jahrhundert stammen.

Aber bei den Städtern in Zürich und Basel gilt das Oberwallis auch immer als etwas rückständig. Mutter Beatrix Kummer kann sich herrlich darüber aufregen, wenn Hipster aus der City verwundert fragen: „Echt? Ihr habt schon Internet?“

Stoneman Glaciara: Aufgeben ist keine Option

Am dritten Tag stellen wir beim Blick aus dem Fenster fest, dass wir am Abend zuvor ruhig noch ein Fläschchen Pinot Noir hätten leeren können: Es regnet Katzen und Hunde, wie die Briten sagen, die hier die ersten Touristen waren. Die Temperaturen sind jäh in den Keller gestürzt. Aber aufgeben ist natürlich keine Option. Mit klammen Fingern und nass wie die Pudel fahren wir die beiden letzten Stempelstellen ab.

Stoneman Glaciara

Vom Joch am Breithorn genießt man einen perfekten Blick auf die Viertausender des Berner Oberlandes.

Zum Glück ist dieser letzte Teil der Route nur ein großer Loop im Rhone-Tal, denn weiter oben ist schon Neuschnee gefallen. Trotz des Sauwetters genießen wir die Fahrt durch die Dörfer des Goms mit seinen Prachthäusern, stolzen Denkmälern früher Baukunst. Roland Stauder war es ein Herzensanliegen, auch solche historischen Schätze in den Giro miteinzubeziehen – für die Fahrer zur kulturellen Erbauung und für die Wirte, damit auch sie etwas vom Umsatz des Glaciara-Kuchens abbekommen. Mit Schlammspritzern dekoriert, passieren wir in Niederwald das Denkmal für den berühmten Cäsar Ritz, Gründer der gleichnamigen Hotels und Pionier der Luxushotellerie. Vermutlich hätte er über uns Dreckbären die Nase gerümpft.

Ein letzter, sehr steiler Uphill führt auf einem Trail hinauf nach Bellwald. Wir schalten vergnügt in den Boost-Modus – Strom brauchen wir jetzt nicht mehr zu sparen. Und dann stehen wir auch schon tropfend im Velo-Shop von Kurt, wo wir vor drei Tagen aufgebrochen sind. Er überreicht uns die Finisher-Trophäe mit dem schon legendären Stein. Die Frage, wie es uns gefallen hat, ist eigentlich nur rhetorischer Natur: tipptopp, was denn sonst! GENUSS pur!


Allgemeine Auskünfte zur Reise auf den Stoneman Glaciara

Alle Infos zur Planung, zu Unterkünften, Startpunkten und Service-Partnern

Saison

Mitte Juni bis Ende Oktober

Stoneman Glaciara: Starterpakete

Ab 34 CHF (es gibt verschiedene Varianten). Ein Paket zu erwerben, ist eine Frage des Anstandes, denn mit den Einnahmen wird die Route instand gehalten. Kurt Schweizer sagt dazu: „Es gibt einige Starter, die ohne Paket losfahren, dann aber nachträglich noch eines kaufen, wenn sie sehen, wie viel Arbeit wir investiert haben.“


Informationen zum Stratos-Projekt BikeWallis

Der MTB-Tourismus ist im Wallis später angekommen als im Vorzeige-Kanton Graubünden. Das heißt aber nicht, dass er weniger Potenzial hat. Um den großen Schatz an Trails und Routen zu heben, investiert das Wallis jetzt mehr als vier Millionen CHF, unterstützt von der Agentur „BikePlan“ in Visp. Am Ende steht ein MTB-Masterplan mit voll ausgeschilderten Routen, GPS-Tracks zum Download, eigenem Kartenmaterial und vielen neuen Trails, die per Bergbahn-Shuttle erreicht werden können.

Die Region rund um Fiesch ist dabei Vorreiter, auch dank des unermüdlichen Einsatzes von Kurt Schweizer. In Bellwald gibt es jetzt schon eine Downhill-Strecke samt Rennen, die Gondeln nehmen jetzt schon Bikes mit. „Ohne diese bestehende Infrastruktur hätten wir den Stoneman nicht so schnell umsetzen können“, sagt Kurt. Er hofft, dass MTB-Touristen noch länger in seiner Heimat Urlaub machen, wenn „BikeWallis“ komplett umgesetzt ist.

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